Wie sicher jedem Oldtimerfreund bekannt ist, wird der Zustand von Oldtimern nach Noten definiert. Hier gibt es eine einheitliche Notendefinition, wonach das zu bewertende Fahrzeug einsortiert wird. Natürlich hat die Zustandsnote direkten Einfluss auf den Wert des Fahrzeugs. Daher wird in Verkaufsanzeigen häufig mit Noten umhergeworfen, die in der Realität meist nicht haltbar sind (dazu später mehr).
Notendefinition in der Oldtimerei
Hier erst einmal die allgemein gültige Notendefinition, in dem Beispiel entnommen von Classic Analytics
(Quelle: https://www.classic-analytics.de/de/oldtimerpreise/zustandsnoten )
Zustandsnote 1
Makelloses Fahrzeug, an dem sich auch bei genauester Prüfung keinerlei (!) Mängel an Optik oder Technik finden. Ein Fahrzeug, dessen Restauration in allen Punkten den absoluten Höchststand des heute handwerklich Machbaren darstellt und daher einen enormen finanziellen Aufwand erfordert. Extrem selten. (Übertrifft deutlich den Qualitätsstandard der heute üblichen Großserienproduktion)
Zustandsnote 2
Sehr gutes, mängelfreies Fahrzeug im original erhaltenen oder aufwändig restauriertem Zustand ohne Fehlteile und mit allenfalls leichten Gebrauchsspuren. (Entspricht einem 3 bis 8 Jahre alten, optimal gepflegten Mittelklassewagen mit einer Laufleistung von maximal 50.000 bis 100.000km)
Zustandsnote 3
Gebrauchtes Fahrzeug im ordentlichen Zustand, das normale Spuren der Jahre oder einzelne, kleinere Mängel zeigt. Uneingeschränkt fahrbereit, ohne Durchrostungen und ohne sofort notwendige Instandsetzungsarbeiten. (Entspricht einem 8 bis 12 Jahre alten, optimal gepflegten Mittelklassewagen mit einer Laufleistung von 100.000 bis 200.000km)
Zustandsnote 4
Verbrauchtes Fahrzeug mit deutlich erkennbaren Mängeln, das nur eingeschränkt fahrbereit ist oder an dem sofortige, einfach durchzuführende Arbeiten notwendig sind. Kann leichte bis mittlere Durchrostungen oder Fehlteile aufweisen. (Entspricht einem 12 bis 20 Jahre alten, durchschnittlich gepflegten Mittelklassewagen mit einer Laufleistung über 250.000km)
Zustandsnote 5
Restaurierungsobjekt im nicht fahrbereiten oder (teil)zerlegtem Zustand mit zahlreichen Fehlteilen, das nur mit größeren Investitionen wieder aufgebaut werden kann. (Entspricht einem über 20 Jahre alten, schlecht gepflegten Mittelklassewagen mit über 300.000 Kilometer Laufleistung, bei dem der anstehende Prüftermin zur Hauptuntersuchung das Aus bedeutet bzw. technische Defekte die Nutzung aus wirtschaftlicher Sicht beenden) Hinweis Unrestaurierte Fahrzeuge mit einer überdurchschnittlich niedrigen Laufleistung in nur leicht patiniertem Originalzustand entziehen sich dem üblichen Bewertungsschema. Ihr Wert kann daher den sich durch die reine Zustandsnote ergebenden Wert deutlich übersteigen.
Von der Theorie zur Praxis
Machen wir die trockene Theorie doch einmal an einem Beispiel fest. Du findest folgendes (zugegeben fiktives) Inserat in einem bekannten Onlineportal (dennoch ist es täglich so oder ähnlich zu finden):
Mercedes Benz W123 Bauj. 1984 240 TD mit H-Zulassung
Mercedes Benz 240 TD
Baujahr 1984
285.000 Km
2. Hand
originaler unrestaurierter Zustand
Wertgutachten liegt vor
Zustandsnote 2 – 2+
H Kennzeichen
Festpreis
€ 14.000,-
In der Anzeige könnte noch mehr Blabla stehen, aber konzentrieren wir uns hier auf das Wesentliche.
Wertgutachten:
Ein richtiges Wertgutachten (wo der Gutachter auch für die bescheinigten Werte haftet) beinhaltet unter anderem eine technische Prüfung. Alle Bauteile werden individuell beschrieben und nach Zustand benotet. Je nach Prüftiefe kann man das auf Baugruppen beschränken oder aber bei sehr wertvollen Fahrzeugen es auch mit jedem einzelnen Bauteil veranstalten (linke Sonnenblende Note 3, rechte Sonnenblende Note 2 usw.). Hier kann es bis zur Endoskopie von Brennräumen und Hohlräumen gehen, zerstörungsfreien forensischen Analysen von Materialien um die Echtheit zu bestätigen usw..
Hier wirst du schon ahnen, das für so ein Wertgutachten Kosten ab ca. 500,- € plus Werkstattkosten anfallen. Je nach Aufwand und Prüftiefe sind die Grenzen noch oben sehr weit offen.
Die Wahrscheinlichkeit, dass für dieses Butter- und Brotauto ein richtiges Wertgutachten vorliegt, tendiert gegen null.
Es gibt die gebräuchlichen Kurzbewertungen zur Versicherungseinstufung, denn die Versicherungen wollten eine Werteinschätzung der zu versichernden Fahrzeuge ohne die riesige Kostenlawine für ein Wertgutachten loszutreten. Hier handelt es sich um eine oberflächliche preisgünstige Werteinschätzung ohne technische Prüfung und ist zweckgebunden zur Versicherungseinstufung und nicht für den Fahrzeugverkauf geeignet.
In dem Name Kurzbewertung steckt das Wort „Kurz“ und kostet seriös durchschnittlich um die 190,- €. Hier wird die Fahrgestellnummer abgeglichen und geschaut ob alles zusammenpasst. Salopp ausgedrückt, rennt der Gutachter dann mehrfach um das Fahrzeug, um einen Eindruck von den Bauteilen, der Lackierung und dem Innenraum zu gewinnen. Eventuell tritt er gegebenenfalls noch mal gegen den Reifen und findet dann 10 Durchschnittseinzelnoten der einzelnen Baugruppen, die dann die Durchschnittsnote des Fahrzeugs abbilden. Mit dieser Durchschnittsnote wird dann der Wert aus Vergleichslisten ermittelt. Mehr Aufwand ist in der Preislage für eine Kurzbewertung auch nicht drin.
Das ist leider gelebte Praxis.
Ich persönlich schaue selbst bei Kurzbewertungen schon wesentlich genauer hin und weise auf die einzelnen Zustände hin, aber am Ende wird der ganze Spaß dann auch leider für mich nicht mehr kostendeckend.
Daher sollte man die Kurzbewertung als dass ansehen, was es ist: Eine grobe Werteinschätzung ohne technische Prüfung!
Wenn man weiß, dass manche Oldtimerversicherungen mindestens Zustand 2 verlangen, um das Fahrzeug zu versichern, sollte es nicht verwunderlich sein, wenn eventuell manche Gutachterkollegen bei der Benotung die „Rosa Brille“ auf haben. Eventuell spielt Unerfahrenheit hier auch eine Rolle, aber das müssen die selbst mit Ihrem Gewissen ausmachen.
Also stellen wir fest, in dem Beispiel wird man hinter dem Punkt Wertgutachten getrost einen Haken machen können und es als nicht existent ansehen.
Gehen wir mal auf den „originalen unrestaurierten Zustand“ ein.
Deine Erwartungshaltung ist ja, dass das Fahrzeug idealerweise Scheckheftgepflegt ist, also pünktlich alle 15.000 Km bei der Mercedeswerkstatt vorstellig war um dann großflächig durchsaniert zu werden. Verschleißteile fliegen gnadenlos raus, Parkrempler werden beseitigt und anfallende Reparaturen werden erledigt. Sicherlich sind bei der Km Leistung schon der vierte Satz Bremsscheiben und Beläge drin und jedes Bauteil war mehr oder weniger schon in Bearbeitung.
Selbst wenn hier alles vorbildlich erledigt wurde, ist die Bezeichnung unrestauriert dann zutreffend?
Da wir wissen, dass das Fahrzeug ja nicht als Oldtimer vom Band gerollt ist, sondern ein Gebrauchsfahrzeug, eventuell auch ein Verbrauchsfahrzeug war, ist diese Erwartungshaltung realistisch? Wohl eher nicht.
Mit originalem unrestauriertem Zustand ist wohl eher gemeint, über die 285.000 Km wurde wirklich nichts gemacht und die Kiste ist jetzt vollkommen durch.
Dann kommen wir nun auf die Benotung 2 – 2+. Treiben wir es auf die Spitze und gehen von 2+ aus. Hier müsste ein Fahrzeug stehen, das in einem absolut neuwertigen Zustand mit minimalsten Gebrauchsspuren da steht.
Betrachten wir nur mal den Motor ganz isoliert. Der Hersteller baut Fahrzeuge, die durchschnittlich auf 10 Jahre und durchschnittlicher Nutzung konstruiert sind. Otto Normalverbraucher fährt im Jahr ca. 15.000 Km. Wenn Adam Riese kein Idiot war, stehen nach 10 Jahren 150.000 Km auf dem Tacho. Mercedes gibt noch einen Bonus drauf (für die Vielfahrer) und konstruiert auf 200.000 Km, dann ist für den Hersteller der Stecker raus. Das die Fahrzeuge bei guter Pflege eventuell mehr können, ist unbestritten. Wir vergleichen es mit einem Joghurt, wo das MHD erreicht ist. Eine Woche nach dem MHD fallen wir nach dem Verzehr auch nicht tot um, schmecken wird er aber auch nicht mehr ganz frisch.
Wenn das Fahrzeug Note 2+ wäre, könnte ich den Motor ausbauen und dir als neuen Motor zum Neupreis verkaufen, der lediglich 285.000 km gelaufen hat! Da sind wir schon 85.000 km über dem Bonusbereich des Herstellers. Dass die Rechnung nicht aufgeht, sollte jetzt jedem klar sein.
Anderes Beispiel: der Fahrersitz. Bei Note 2+ sollte er absolut neuwertig sein. Mit den hier vorliegenden Eckdaten hat hier ein Fahrer schon durchschnittlich mindestens 5.700 Stunden reingeschwitzt und reingepupt. Sicherlich hat er sich beim Fahren auch bewegt und von dem edlen Stoff was abgewetzt. Die UV Strahlung der Sonne hat die Farbgebung und Festigkeit des Stoffs nachhaltig verändert. Ist er wirklich neuwertig?
Beim Betrachten der Fotos bestätigt sich die Einschätzung. Beifahrertür schlechte Passung. Hier war schon jemand Karosserietechnisch dran. Das Gummi des vorderen Stossfängers zeigt schon diverse Kampfspuren. Der Innenraum sieht verlebt aus, Lenkrad und Schaltknüppel bei der Laufleistung sind logischerweise abgegriffen. Der Gurt hängt schlaff herunter, Fahrersitz ist abgewetzt, Türverkleidung faltig, Gurtschlösser speckig usw.. Das Motor, Getriebe, Differenzial, Stoßdämpfer und Fahrwerksteile bei der Laufleistung den Zenit erreicht haben, sollte klar sein.
Natürlich kann man an dem Fahrzeug Spaß haben und es als Projekt sehen. Realistisch ist das Fahrzeug aus der Ferne sicherlich mit maximal Note 3 zu bewerten. Wenn bei der Besichtigung noch weitere Mängel auftauchen, landet man auch sehr schnell bei einer Note 4.
Für eine Note 3 wird aktuell ca. 6500,- € notiert. Hier sieht man, wie entscheidend die realistische Noteneinstufung ist.
Autor: Kfz Sachverständiger Bernd Bischoff